Zum Geleit

Das Institut lag am Rande der Stadt.

Alle Geschichten der wissenschaftlichen Phantastik beginnen mit dem Satz "Das Institut lag am Rande der Stadt." Schlechte wissenschaftliche Phantastik setzt dann mit einem Satz fort wie etwa "An diesem verregneten Novemberabend brannte im Labor von Professor X. noch Licht." Gelungenere Exemplare der Gattung bemühen sich, den Leser, zumindest noch für eine Weile, in Sicherheit zu wiegen, und zunächst eine heitere, ja fast belanglose Athmosphäre zu verbreiten, etwa so: "X liebte diese sonnigen Montagmorgende, an denen er mit offenem Verdeck in seinem Sportwagen der Marke So-Und-So die paar Kilometer von seinem Wochenendhaus am Meer/am Fuße der Berge ins Büro fahren konnte." Erst im Laufe der Handlung soll dem Leser anhand wie beiläufig eingestreuter, zumeist wörtlicher Rede klar werden, daß es sich bei dem Büro vom X. um eines am Institut für Genmanipulation, UFO-Forschung oder Molekularautomatisierung handelt, wo dieser ein geheimes Regierungsprojekt leitet und im übrigen ein gänzlich skrupelloses Subjekt darstellt, weshalb er sich auch einen So-Und-So-Sportwagen nebst Wochenendhaus am Meer/am Fuße der Berge leisten kann etc. Allerdings habe ich hier gar nicht vor, wissenschaftliche Phantastik zu verfassen und setze daher auch ganz anders fort.

Bei dem Institut, welches ich eingangs erwähnte, handelt es sich nämlich gar nicht um eines, welches sich mit Genmanipulation, UFO-Forschung oder Molekularautomatisierung oder einem ähnlich für geheime Regierungsprojekte geeignet scheinenden Wissensgebiet befaßt, sondern um das Institut für Logik an der philosophischen Fakultät. Schwerlich wird der Leser hier Labore mit in Erlenmeierkolben vor sich hin stinkenden und blubbernden zähen Flüssigkeiten mit kleinen zappelnden Männchen darin, in Alkohol eingelegte UFO-Insassen oder menschenfressende Roboter vermuten, und ich darf ihm an dieser Stelle versichern, daß sich derlei Dinge in der Tat dort nicht finden. Vielmehr befinden sich dort Bücher. Muffige, staubige Bücher.

Nun scheint ein Ort, der so bar jeglicher nervenaufreibender Ungeheuerlichkeiten ist, wie eine philosophische Bibliothek, als Schauplatz wissenschaftlicher Phantastik denkbar ungeeignet, was sich gut trifft, da ich ja, wie gesagt, ohnedies nichts dergleichen zu verfassen beabsichtigte. Es wäre nämlich doch eher unziemlich, an einem solch ehrwürdigen Orte in einem Sportwagen mit offenen Verdeck (und gar der Marke So-Und-So!) vorzufahren; ferner wird sich dort auch kein Mensch ohne Not verregnete Novemberabende um die Ohren schlagen. Der Feststellung, daß das Institut am Rande der Stadt liegt, bliebe also lediglich eventuell hinzuzufügen, daß studentische Hilfskraft X. sich an diesem verregneten Novemberabend noch im Institut herumdrückte, um, begünstigt durch die ihm zugefallene Schlüsselgewalt, die Gelegenheit vielleicht doch noch zur Erledigung dieser oder jener Hausaufgabe zu nutzen. Bzw., je nach dem, daß X. es liebte, an einem sonnigen Dienstag Vormittag mit seinem Fahrad der Marke Irgendwo-Gefunden zum Institut zu fahren, um die Woche zu beginnen. Soweit es sich bei jenem X. um mich handeln soll, wären solche Situationen allerdings als krasse Ausnahmen anzusehen, denn ich pflege die Woche mit einem Besuch in der Universitätscafeteria zu beginnen, und an verregneten Novemberabenden steht mir der Sinn für gewöhnlich eher nach einer netten Skatrunde in meiner Stammkneipe. Wie also leicht einzusehen ist, bietet weder der Regel- noch der Ausnahmefall irgendwelchen Stoff für wissenschaftliche Phantastik, weshalb ich mir von einer dahingehenden Anstrengung auch, das Einverständnis des geneigten Lesers vorwegnehmend, sogleich Abstand zu nehmen erlaubte.

Da ich dem Leser nun sowohl des Längern wie auch des Breitern auseinanderzusetzen bemüht war, daß es sich bei dem fraglichen Institut um einen höchst ereignisarmen Ort handelt, der, meines Wissens nach, weder geheime Regierungsprojekte noch böse Wissenschaftler beherrbergt, und welcher auch, nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Befristung der dort von mir innegehabten Viertelstelle als studentische Hilfskraft, in meinem persönlichen Dasein einen durchaus als nachgeordnet zu bezeichnenden Platz bekleidet, denke ich nunmehr unwidersprochen feststellen zu dürfen, daß das, was ich mir hier zu darzulegen vorgesetzt habe, mit dem Institut gar nichts zu schaffen hat.

Die Eingangs getroffene Bemerkung, das Institut liege am Rande der Stadt, ist vielmehr gleichsam als Zitat zu verstehen. Dieser Satz kommt in der wissenschaftlichen Phantastik nämlich tatsächlich bemerkenswert häufig vor. Daraus sollte jetzt jedoch keineswegs voreilig geschlossen werden – und das kann man nicht nachdrücklich genug herausstreichen – der vorliegende Text gehöre der genannten Literatursparte an. Es ging mir hier einzig um die Aussage. Das rechte Zitat am rechten Platze bringt nämlich bekanntermaßen manchen Sachverhalt weit treffender zum Ausdruck, als man dies mit eigenen Worten vermöchte. Und so auch hier: Das Institut, von welchem hier gar nicht die Rede ist, befand sich wahrhaftig am Rande der Stadt!

Ismael Dreyzehn, 22.07.2018 - CC BY-NC-ND 4.0 - ismael13.schnypsel.net